Von Lukas Buser
Die Geschichte des VSS zu recherchieren kann mühsam sein. Die gleichen Diskussionen wiederholen sich wieder und wieder, Jahr ein, Jahr aus; sie hier zu beschreiben scheint überflüssig, man kann auch einfach die Protokolle der letzten Delegiertenversammlungen anschauen. Oftmals scheinen historische Dokumente von einer anderen Welt zu sein, so altertümlich scheinen sie. Doch die Protokolle der DV- und Comité-Sitzungen in den 1930er Jahren könnten von gestern stammen: Die Lektüre derer ist deswegen geradezu deprimierend. So wird z.B. im Jahresbericht 1923 von Budgetproblemen gesprochen, welche mithilfe von Beitragserhöhungen für Sektionen sowie der Akquisition von neuen Mitgliedern baldig gelöst werden sollen. Naja. Vielleicht finden wir in den nächsten 100 Jahren eine endgültige Lösung.
Selbstverständlich haben sich der VSS, die Schweizer Politik und die Welt seit 1920 verändert, der VSS hat sich in einigen Aspekten – insbesondere bezüglich der Inklusivität – sicher auch verbessert. So bestand der VSS bis Mitte des letzten Jahrhunderts mehrheitlich aus Verbindungsstudenten, so wie die meisten Studierendenschaften der Schweiz. Und ja, ich meine «Studenten», denn Frauen erscheinen eine lange Zeit gar nicht in den Protokollen. Und während Organe zur Behandlung von hochschulpolitischen und sozialen Fragen von Anfang an bestanden, ist Gleichstellungspolitik in unserem Verband eine echte, willkommene Neuerung.
Während Debatten über politische Themen wie Stipendien und Interna wie das Budget altbekannt sind, scheinen andere Diskussionen aus heutiger Sicht wiederum sehr fremd: Die Probleme des 2. Weltkriegs und des kalten Kriegs finden für uns heute keine Parallelen. Die Rolle des VSS spiegelt interessanterweise in beiden Konflikten jene der Schweiz. Die 1940er Jahre sind geprägt von der Unsicherheit, was man denn tun soll, wenn um einen herum die Hölle ausbricht. Der VSS entschied sich zu Neutralität sowie zu einigen Aktionen zur Unterstützung von kriegsleidenden Studierenden im Ausland. Im kalten Krieg dann weitere, diesmal wenig glaubwürdige, Versuche zur Neutralität. So schlug sich der VSS im Konflikt der Internationalen Studierendenverbände (die International Union of Students nahm die Studierenden des Ostblocks auf, der International Student Congress diejenigen des Westens) auf die Seite des Westens und wurde Mitglied im ISC. Noch transparenter wird die eher liberale Position des VSS in einer Resolution aus dem Jahre 1960: «Der VSS stellt sich gegen internationalen Kommunismus, Faschismus und Kolonialismus».
Die damalige Kultur der Schweizer Politik scheint aus heutiger Sicht auch sehr altertümlich und unbürokratisch: Zum Beispiel wurden dem VSS nach seiner Gründung 40 Prozent seiner Ausgaben durch den Bund gedeckt, was nach einem kurzen Gespräch mit Bundesrat Motta für das nächste Jahrzehnt entschieden wurde. Ein weiteres Beispiel findet sich 1960: Nach einem an Banalität kaum zu überbietenden Konflikt im Vorstand tritt dieser unisono zurück (je nach Interpretation freiwillig oder erzwungenermassen), worauf ein Stadtrat der Stadt Zürich beauftragt wurde, einen Bericht zu schreiben. Dieser tat das sehr ausführlich, da man als Stadtrat damals wohl nichts besseres zu tun hatte.
Seit 1920 stellen wir uns die gleichen Fragen: Wie harmonisiert man das Stipendienwesen und macht es grosszügiger? Wie können wir Bedingungen für Werkstudierende verbessern? Wie lobbyiert man am effektivsten? Und wie organisiert man einen finanziell stabilen Verband, mit fleissigen Vorständen und aktiven Sektionen?
Viele, die im VSS aktiv sind, stören sich an den Diskussionen, welche sich jährlich wiederholen, doch mich lässt es besser fühlen, dass dies seit unserer Gründung gleich ist. Denn gleichwohl, ob eine Abstimmung an der Delegiertenversammlung nicht in die gewünschte Richtung verlaufen ist, oder wie apokalyptisch manche Fehlentscheide scheinen, oder ob sich ein Problem einfach nicht befriedigend lösen lässt: Der VSS schlägt sich seit 100 Jahren mit Temporärlösungen, Sackgassen und Improvisationen durch. Und bis jetzt hat es funktioniert.
Lukas Buser war 2017–2019 im VSS aktiv, zum einen als Vertreter des Verbands der Studierenden der Universität Zürich (VSUZH) am Sektionsrat, zum anderen als Mitglied der Kommission für Internationales und Solidaritätsarbeit (CIS) und der hochschulpolitischen Kommission (HoPoKo) sowie als Mitglied der Arbeitsgruppen Mitgliederbeitragsreform und Struktur.