Von Theodor Schmid
Dass ich anno 2000 im Alter von 32 Jahren zum politischen Sekretär des VSS gewählt wurde, lag wohl weniger an meinem damaligen Hipster-Bart (avant la lettre), sondern an meinem Ruf als solide links und hinreichend gremiengestählt. Was hatte ich dabei erwartet? Jedenfalls kam es anders. Der Verband hatte gerade eben die Gastgeberschaft für einen Jahreskongress des europäischen Dachverbandes hinter sich, erwies sich aber als innenpolitisch praktisch lost.
Fünf Jahre zuvor hatte der VSS seinen Austritt aus der Schweizerischen Universitätskonferenz gegeben, weil die Zusammenarbeit in diesem Gremium die Verbandsarbeit zu sehr bestimmt hätte – so die Argumentation, wie sie mir als damaligem Delegiertem des VSU (Verband Studierender an der Universität Zürich) in Erinnerung ist.
Stolze drei «Amtsleitungen» führte mein künftiges Diensttelefon in dem schönen grossen Einzelbüro im VSS-Büro in Bern. Für Medienmitteilungen gab es eine Klebeetiketten-Kopiervorlage. Immerhin standen auf einem Nebentisch auch ein Faxgerät und ein Rechner mit Internet-Anschluss. So gab es für mich als frischen Import aus Zürich jedenfalls erst einmal genug zu tun, von kooperationsfördernder Büroeinrichtung über Digitalisierung von Kommunikation und Archiv bis hin zum Erlernen … von Berner Gemächlichkeit. In schwierigen Momenten setzte ich mich manchmal draussen auf den Sockel des Denkmals für Adrian Bubenberg, im Gedanken daran, dass dieser laut Ahnenforschung zu meinen Vorfahren gehören soll. Völlig fehl am Platze konnte ich also vielleicht doch nicht sein. Weitermachen war angesagt.
In meinen fünf Jahren als VSS-Sekretär waren die folgenden Themen besonders wichtig:
- Bologna-Reform: Freier Übertritt vom Bachelor zum Master
- Kampf gegen Studiengebühren-Erhöhungen
- Verhindern der Einführung von Darlehen statt Stipendien
- Einsatz für Gleichstellung der Geschlechter
- Gründungs-Hilfe für Fachhochschul-Studierendenschaften
Dass wir es in dieser Zeit auch gleich noch mit einem Konkurrenz-Verband, dem VSH (Verband der Schweizerischen Hochschulstudierenden), zu tun bekommen hatten, könnte man nachträglich mit einem Schmunzeln kommentieren, wenn nicht die politische bzw. kulturelle Ausrichtung des VSS tatsächlich hart umstritten gewesen wäre. Das Spektrum reichte von Linksaussen-Revoluzzern über Katholisch-Konservative bis zu Neoliberal-Karrieristen. Wenigstens war ich solch spagathafte Verhältnisse bereits von meiner Heim-Uni her gewohnt.
Das Motto konnte daher nicht anders lauten als: Das eine tun, aber das andere nicht lassen, d. h. weiterhin aufmüpfig revoluzzen, aber dazu auch wieder hartnäckig diplomatisieren, beides getragen durch solide inhaltliche Hintergrundarbeit und genährt aus aktiver verbandsinterner Vernetzung. Ich hatte das Glück, über längere Zeit mit vielen feinen, gescheiten und tüchtigen Studierenden zusammenarbeiten zu dürfen: Stephan Tschöpe, Lea Brunner, Jean-Christophe Schwaab, Esther Christen und zahlreichen weiteren. Dass die hier namentlich genannten alle aus der SUB in Bern kamen ist vielleicht kein Zufall, denn intensive VSS-Verbandsarbeit von einem anderen Studienort aus zu betreiben ist wohl doch deutlich schwieriger. Umgekehrt würde ich sagen: Es war von Vorteil, dass ich selber über die ganzen Jahre aus Zürich gependelt war, und mein Co-Sekretär und die diesem folgende Co-Sekretärin ebenso – ihrerseits aus Lausanne. Das verminderte die Blasen-Gefahr bzw. führte auf halbem Wege vielleicht zu einer Art west-östlichem Cluster.
Unsere Erfolge und Misserfolge ergeben im Rückblick das Bild, dass wir zwar nicht besonders viel Gutes an Änderungen konkret erreicht haben, aber manches an Üblem haben verhindern können. Der Klassiker halt für eine Lobby-Organisation. Puncto Erhöhung der Studiengebühren und Ersatz von Stipendien durch Darlehen war aus Wirtschaftskreisen nach jahrelangem Streit mit harten Bandagen irgendwann mal zu vernehmen: Da beisse man auf Granit. – Gut so!
Zum Schluss darf nicht unerwähnt bleiben, dass ich als Spätfolge meines VSS-Engagements ein wunderbares, bilingues Söhnchen habe – womit last but not least noch das Thema der Sprachen angesprochen ist. Ex negativo soll die These gewagt sein: Unser zwischenzeitlicher Konkurrenzverband ist vielleicht wesentlich auch daran gescheitert, dass er als lingua franca das Englische benutzt hatte. Das mag international und wissenschaftlich tauglich und richtig sein, aber Politik in der Schweiz geht nur, wenn man sich darauf einlässt, den romanisch-germanischen Sprachgraben zu überbrücken. Und dies, indem man die jeweils andere Sprache nicht nur versteht, sondern auch – wie geradebrecht auch immer – zu sprechen wagt.
Theodor Schmid war 2000–2006 politischer Sekretär des VSS.