Von Sarah Thönen
Als ich vor 25 Jahren mein Studium der Politologie abschloss, gab es an der Universität Lausanne in meiner Fachrichtung genau eine Vorlesung, die sich mit Gender-Themen befasste. Es war das Freifach «Frauen und Politik», unterrichtet durch eine Lehrbeauftragte. Das war alles. Den Rest musste ich mir selber erarbeiten. Ich schrieb Seminararbeiten zum Frauenstimmrecht oder zur Berücksichtigung der Bedürfnisse von Frauen in der Raumplanung. Jedoch stand mir keine erfahrene Betreuungsperson zur Seite, die mir ihr Wissen weitergeben oder mir geeignete Analysekriterien und theoretische Grundstrukturen mitgeben konnte.
Heute ist das anders. Die Webpage gendercampus.ch gibt einen guten Überblick über das vielfältige Angebot, das in den letzten 25 Jahren entstanden ist. «Gender» ist zu einem zentralen Querschnittsthema aber auch einer eigenständigen Disziplin an den Universitäten und den Fachhochschulen geworden. So bieten mehrere Schweizer Universitäten Bachelor- und Masterabschlüsse in den Gender Studies an. Es gibt einen etablierten Wissensaustausch für Studierende, Doktorierende und Post-Docs. Und es gibt Institutionen und Programme, die die Geschlechterforschung fördern. Das Angebot ist aus der Studien- und Forschungslandschaft der Schweiz nicht mehr wegzudenken.
Der VSS hat dazu seinen Beitrag geleistet, indem er schon früh dem Thema Raum gab. So organsierten wir aus der Arbeitsgruppe Frauen des VSS in Zusammenarbeit mit dem Dachverband der europäischen Studierendenschaften 1997 ein internationales Frauenkolloquium zu Frauenstudien in Europa. Studentinnen aus ganz Europa kamen nach Lausanne, um sich zu vernetzen, Wissen und Erfahrungen auszutauschen und die Referate von führenden Forscherinnen zu hören. Für uns Teilnehmerinnen aus der Schweiz war das beeindruckend. Wir waren neidisch, was es im Ausland alles gab. Und diese Konferenz war für einige der Auslöser für einen späteren Auslandaufenthalt.
Im Anschluss an die Konferenz gab der VSS das Buch «Neugierig auf Gender Studies / En savoir plus sur les études genre» heraus. Es war als Orientierungshilfe konzipiert für diese neue wissenschaftliche Disziplin, die in den 90er-Jahren in der Schweiz zögerlich Fuss fasste. Es enthielt die Konferenzbeiträge der Forscherinnen, einen vollständigen Überblick über das institutionalisierte Studienangebot in der Schweiz sowie Beispiele von Studiengängen in Europa. Das institutionalisierte Angebot in der Schweiz war Ende der 90er Jahre sehr bescheiden: ein Postgraduierten-Studium an der Universität Genf, ein Fachprogramm «Geschlechtersoziologie» als Teil des Haupt- oder Nebenfachstudiums Soziologie an der Universität Bern sowie eine einzige (ausserordentliche) Professur für Frauen- und Geschlechtergeschichte an der Universität Basel.
Seither ist viel geschehen. Wer heute auf diesem Gebiet etwas lernen möchte, findet vielfältige Forschungsliteratur sowie Studienangebote in der ganzen Schweiz. Aber das Erreichte ist nicht in Stein gemeisselt. Gender Studies werden kritisiert, verunglimpft, die Angebote teilweise abgebaut. Zuletzt geschehen an der Universität Basel, wo die im Jahr 2000 geschaffene Professur für Geschlechterforschung im Rahmen von Sparmassnahmen abgeschafft wurde. Ersetzt wurde die Stelle soeben durch eine 50%-Assistenzprofessur. Mit dieser Reduktion ist der Fortbestand des Zentrums Gender Studies und vor allem auch das erfolgreiche Doktoratsprogramm gefährdet. Damit reiht sich Basel ein in eine unrühmliche Liste von Wissenschaftsstandorten, in denen politischer Druck von rechtskonservativen Kreisen zur Schwächung und Abschaffung von Geschlechterforschung führt. Die Gender Studies stehen unter Druck. Wir müssen uns weiter dafür einsetzen, dass diese wichtige und kritische Forschungsrichtung Bestand hat. Denn die vielfältigen Forschungsresultate in den verschiedensten Disziplinen zeigen Wirkung, nicht nur wissenschaftlich, sondern auch gesellschaftspolitisch. Sie dienen unter anderem als Grundlage für die politische Arbeit zur Durchsetzung der Gleichstellung und sie helfen mit, im Bereich Gender und Sexualität die Sichtbarkeit von verwundbaren Gruppen der Bevölkerung zu verbessern und wichtige rechtliche Schutzmassnahmen zu erreichen.
Link:
VSS (Hrsg.): Neugierig auf Gender Studies. Chronos Verlag, Zürich 1999. ISBN 3−905313−32−4: https://saeculum-vssunesusu.ch/publikationen/
Sarah Thönen war Mitorganisatorin der Women’s Conference 1997 sowie Co-Redaktorin des vom VSS herausgegebenen Handbuchs «Neugierig auf Gender Studies – En savoir plus sur les Etudes Genre».