Von Manuela Hugentobler
Vor ein paar Wochen hat mir mal wieder eine Studentin erklärt, dass Studiengebühren „eh ok“ sind. Anstatt zu verzweifeln oder gleich einzuschlafen regte ich mich natürlich auf und dozierte – nicht zum ersten Mal – über Zugangshürden und die exkludierende Strukturierung von Universitäten und Hochschulbildung. Dann schickte ich ihr ein VSS-Positionspapier. Und erinnerte mich daran, wie ich als Studentin meine Studiengebühren manchmal mit der Kreditkarte zahlen musste, weil es einfach nicht reichte. Und dann doch nicht verstand, warum die Unibesetzer*innen die Studiengebühren abschaffen wollten.
Die Studentin, die Studiengebühren gut findet, lernte ich während der Streikvorbereitungen für den 14. Juni kennen. Wir redeten da viel über Ungerechtigkeit. Und über Solidarität. Letztere war plötzlich wieder da und spürbar. Student*innen forderten die Direktanstellung von Reinigungspersonal, Professor*innen, Rektorinnen und Regierungsrätinnen setzten den 14. Juni als prüfungsfrei durch, Wissenschaftler*innen kämpften für eine feministische Transformation der Hochschulen.
Und mir fiel ein, wie das war, damals, als es schien, als wären wir uns wenigstens im VSS einig: Wir wollten gerechte Hochschulen, emanzipatorische Bildung und wir ertrugen es nicht, dass es immer noch eine Klassenfrage ist, wer studieren geht. Wir versuchten herauszufinden, wie das geht, mit der Solidarität. Wir wollten dafür sorgen, dass die Universitäten nicht bleiben, was sie waren.
An der schönen neuen Universität, die ihre Student*innen effizient und employable haben möchte und Forscher*innen gerne auch zu Manager*innen machen will, an dieser Uni, die in erster Linie wettbewerbsfähig sein und in Rankings gut abschneiden soll, fällt es schwer, von Solidarität zu sprechen. Sorgearbeit, Liebe, Aktivismus; alles hat eigentlich gar keinen Platz in dem Plan, in den wir uns einpassen sollten.
Und dann passiert es doch: Ein feministischer Streik bewegt die Hochschulen, Student*innen organisieren sich, solidarisieren sich, fordern Studienplätze für Geflüchtete und reiche Eltern für alle. Es entstehen selbstorganisierte Seminare, Freund*innenschaften, eine andere Welt.
Natürlich haben viele Student*innen einfach sehr viele Privilegien und damit Raum und Zeit, sich zu organisieren. Das zeigt aber eben auch, dass Solidarität gerade auch an, wegen und trotz der Institution möglich ist. Kollektive politische Arbeit ist nicht nur extrem anstrengend und erschöpfend, sondern versetzt uns gleichzeitig in die Lage, neoliberalen, sexistischen und rassistischen Verhältnissen entgegenzutreten.
Im VSS lernte ich, dass die Herstellung einer herrschaftskritischen Hochschule auf den unablässigen Widerspruch und die solidarische Selbstorganisation von Sekretär*innen, Student*innen, Lehrbeauftragten, Reinigungspersonen, Doktorand*innen, PostDocs, Mensamitarbeiter*innen und auch einigen Professor*innen angewiesen ist. Dass es Gründe gibt, warum die meisten meiner Mitstudent*innen meine finanziellen Probleme nicht hatten; Gründe, denen die Abschaffung der Studiengebühren entgegenwirken konnte. Der VSS machte mir klar, was Hochschulen sein sollten: Selbstverwaltete, demokratische, diskriminierungsfreie Orte emanzipatorischer Bildung. Das, sagte die Studentin schliesslich, finde sie auch – und Studiengebühren könne man vielleicht wirklich abschaffen.
Links:
– VSS-Positionspapier Studiengebühren, verabschiedet am 15. November 2013 an der 160. DV in Olten:
https://saeculum-vssunesusu.ch/wp-content/uploads/sites/4/2017/12/9‑d-Positionspapier-Studiengeb%C3%BChren_korr_DV160.pdf
– Akademisches Manifest zum Frauen*streik am 14. Juni 2019 in der Schweiz: https://www.feminist-academic-manifesto.org/?lang=de
Manuela Hugentobler war 2011–2012 Co-Präsidentin der hochschulpolitischen Kommission (HoPoKo) sowie Mitglied der Gleichstellungskommission (CodEg) und der Kommission für Internationales und Solidaritätsarbeit (CIS). Danach war sie 2012–2013 VSS-Vorstandsmitglied, 2013–2014 Generalsekretärin und schliesslich von 2014–2016 Mitglied der Geschäftsprüfungskommission (GPK).